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Im Wintersport geht die Angst vor Disqualifikationen um

Mit Beginn der neuen Saison tritt das Verbot von Fluor-Wachs in Kraft. Falsche Messergebnisse und Sabotage werden befürchtet.

Im Wintersport geht die Angst vor Disqualifikationen um Foto: © GEPA

Mit dem Auftakt des alpinen Ski-Weltcups in Sölden wird auch eine neue Ära im gesamten Wintersport eingeläutet. 

Mit Beginn der Saison 2023/24 tritt das Verbot von Fluor-Wachs zur Präparierung von Sportgeräten offiziell in Kraft. 

Das FIS-Verbot von fluorhaltigen Wachsen wird zwar von allen Seiten begrüßt, sorgt aber auch für Beunruhigung in der Szene. Falsche Messergebnisse könnten für Disqualifikationen sorgen. 

Das hat es mit dem Fluor-Wachs-Verbot auf sich - Die wichtigsten Fragen & Antworten: 

Was ist Fluor-Wachs und warum wurde es verboten?

Fluor-Wachs wurde seit den 1980er Jahren zur Präparierung von Sportgeräten im Wintersport eingesetzt. Gewisse Fluor-Verbindungen (C8) stehen in Verdacht, krebserregend zu sein und sind in der Natur nicht abbaubar. Deshalb haben der Ski- und Snowboard-Weltverband (FIS) und die Internationale Biathlon Union (IBU) ein Verbot ab der Saison 2023/24 beschlossen. Die IBU hatte Besitz, Anwendung, Verkauf oder Handel mit schädlichen C8-Fluorkohlenwasserstoffen bereits ab 2021/22 verboten. Nun gilt das auch für weniger schädliche C6-Produkte.

 

Welche Sportarten betrifft die Umstellung?

Alle Sparten der FIS sowie der IBU. Die Regeln gelten für alle Bewerbe, angefangen beim Weltcup bis hin zu allen FIS-Leveln. 

 

Wir erfolgt die Messung bzw. Kontrolle des verwendeten Wachses?

Gemessen wird mittels Infrarot-Spektroskopie. Das heißt, es wird ein Lichtstrahl auf den Skibelag geschossen. Das reflektierte Licht wird analysiert und aufgrund der Wellenlängen lässt sich auf die Substanzen schließen. Pro Ski wird an drei Punkten gemessen. Erlaubt ist ein Wert zwischen 0 und 1, bei Überschreiten leuchtet das Messgerät rot statt grün – es droht eine Disqualifikation.

Die Messung selbst nimmt nur wenige Sekunden in Anspruch. Der Zeitpunkt der Messung durch die FIS bzw. IBU ist je nach Sportart unterschiedlich. Im Langlauf erfolgt die Messung beispielsweise unmittelbar vor dem Start, bei den Alpinen erst nach dem Rennen im Ziel. Ab dem Zeitpunkt der Messung sollte der Ski nicht mehr berührt werden.

Ein Messgerät inklusive Software kostet etwa 30.000 Euro. Der ÖSV musste mehrere davon anschaffen.

 

Gibt es Probleme oder Bedenken?

Schon geringe Mengen an Fluor bringen einen Wettbewerbsvorteil. Dementsprechend ist der Schwellwert des Messgeräts sehr niedrig bei 1 angesetzt. Die Messtoleranz beträgt jedoch 0,8. Das beduetet: Die Fehlertoleranz der aktuellen Messmaschine ist im Verhältnis zum Schwellwert sehr hoch.

"Es ist fraglich, wie genau und zuverlässig dieses Messgerät ist. Es wird zwar behauptet, dass die Messmethode zu 100 Prozent korrekt ist, das ist sie aber nicht", erklärt Christian Höflehner, Rennchef der Skifirma Atomic.

Erste Erfahrungen hätten gezeigt, dass man bei den Messungen oft sehr nahe an den Schwellenwert herankommt, erzählt Höflehner. In der Praxis sei es bereits vorgekommen, dass bei ein und demselben Ski, bei zwei Messungen direkt hintereinander, ein Wert um 1,4 höher war als der andere.

Ähnliches bestätigt auch Michael Gufler, der Bereichsleiter Technologie im ÖSV, gegenüber der APA. Das vom Weltverband FIS mitentwickelte und vorgegebene Einheitsgerät spuckt ihm zufolge ohne nachvollziehbare Gründe statt des grünen mitunter ein rotes Licht aus.

"Unsere Messungen haben ergeben, dass nicht-fluorierte Ski beim Messsystem zufällig anschlagen können", schlägt Gufler Alarm. "Die Kollegen aus der Schweiz und Deutschland können das bestätigen."

Somit könnten schon geringe Mengen an Fluor Konsequenzen für die AthletInnen haben. Die Gefahr der Kontamination eines Sportgeräts durch alte Fluor-Bestände im Schnee oder etwa bleibende geringe Verunreinigungen bei alten Rennski ist stets gegeben. "Wenn da einmal Fluor gewesen ist, kriegt man es fast nicht mehr aus der Umwelt", erklärt Gufler.

"Wir sind selber gespannt, was bei den ersten Rennen passiert. Momentan ist jeder besorgt, dass er im grünen Bereich ist", sagt Höflehner.

 

Welche Konsequenzen drohen, wenn Fluor auf einem Ski nachgewiesen wird?

"Ich befürchte, dass es aufgrund von Messfehlern zu Disqualifikationen kommen wird. Es gibt die Gefahr, dass Unschuldige zu Schuldigen werden", äußerte ÖSV-Präsidentin Roswitha Stadlober bereits Bedenken.

Höflehner sieht es etwas entspannter: "Ich glaube nicht, dass die FIS bemüht ist, jemanden aufzuklatschen und aufgrund eines Messfehlers zu disqualifizieren. Sie haben uns versichert, dass sie nicht auf der Jagd nach Disqualifikationen sind. Sie wollen einfach sicherstellen, dass keiner etwas mit High-Fluor-Wachsen macht. Wenn du High-Fluor-Wachs verwendest, dann schlägt das Messgerät eindeutig aus."

"Ich glaube, dass die FIS so schlau ist und sich der Diskussion nicht stellen will. Sie werden eine Lösung finden, dass nur die disqualifiziert werden, die wirklich Fluor wachseln", meint auch ÖSV-Ass Vincent Kriechmayr.

Wie die genaue Vorgehensweise bei einer Disqualifikation aussieht, ist kurz vor Beginn der Wintersaison noch relativ undurchsichtig. "Stand jetzt gibt es keine Möglichkeit, einen Protest einzureichen", sagt Gufler, der den selbstständig operierenden Biathlon-Verband IBU von der Kritik ausnimmt. Hier finde ein offener Austausch statt, zudem habe die IBU Szenarien entwickelt, wie die Möglichkeit von Verwarnungen. Wohl um Messfehler abzufedern.

Höflehner verweist indes auf die Möglichkeit, dass es bei den Alpinen aufgrund der Messungen im Ziel auch nach dem eigentlichen Rennende noch zu Disqualifikationen und damit zu Änderungen im Ergebnis kommen könnte.

 

Besteht die Gefahr des Betrugs?

Auf Weltcup-Ebene, wo engmaschig kontrolliert werden soll, weniger als auf FIS-Level. Dort soll nur stichprobenartig kontrolliert werden.

"Da gibt es dann eine Regel, die aus logistischen Gründen de facto nicht kontrolliert werden kann. Nicht nachweisbaren Umgehungsversuchen sind so Tür und Tor geöffnet", glaubt Gufler.

Auch Höflehner merkt an: "Wenn du dich an die Regeln hältst und kein Fluor verwendest und ein anderer schon, dann bist du bei gewissen Verhältnissen chancenlos."

 

Ändert sich etwas für die Athleten?

Fluor wurde bisher besonders bei nassem Schnee und feuchten Bedingungen eingesetzt, um die Ski schnell zu machen. Für Langläufer dürfte die Umstellung also spürbarer sein als beispielsweise für die Alpinen.

"Ich glaube, die letzten zwei Jahre hatten unsere Beläge schon kein Fluor mehr drinnen, in den Gleitpassagen spielt das kaum eine Rolle", erzählt Speed-Ass Kriechmayr.

Gufler hingegen hält größere Zeitunterschiede in den ersten Saisonrennen für denkbar. "Weil Fluorwachse den schlechten Ski oder eine schlechte Struktur besser ausgleichen konnten. Und finanzkräftige Nationen wohl gerade zu Beginn einen Vorsprung gegenüber kleineren Nationen haben werden."

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