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Der ÖSV braucht einen Neustart und Fingerspitzengefühl

Österreichs Ski-Team fuhr auch in der Saison 2022/23 der internationalen Konkurrenz und früheren Erfolgen weitestgehend hinterher. Jetzt ist der ÖSV gefordert.

Der ÖSV braucht einen Neustart und Fingerspitzengefühl Foto: © GEPA

Die Ski-Saison endet so, wie sie begonnen hat: Mit viel Sonne und wenig Schnee.

Eine Absagen-Flut im Herbst läutete den Winter 2022/23 ein, in dem sich nicht nur in Bezug auf die Zukunft des Skisports in Zeiten der Klima-Krise Fragezeichen aufgetan haben. 

Wie es im Zwist zwischen der FIS und den großen Nationen wie Österreich und der Schweiz weiter geht ist ebenso offen wie der Fortbestand der Kombination oder der Parallel-Bewerbe.

Im Gegensatz zu den Entscheidungsträgern haben die Top-Stars bis auf wenige Ausnahmen abgeliefert. Die Dominatoren Mikaela Shiffrin mit ihrem 87. und 88. Weltcup-Sieg und Marco Odermatt mit seinem Punkterekord haben für eine historische Saison gesorgt. 

Das Abschneiden der Österreicher geht hingegen eher in die Richtung historisch schlecht.

Nach einer WM ohne Gold-Medaille blieb das ÖSV-Team in diesem Winter zum zweiten Mal in Folge ohne eine einzige Kristallkugel. Insgesamt wurden nur 25 Podestplätze - 7 Siege, 10 zweite und 8 dritte Plätze - im Weltcup in Einzelrennen eingefahren. Das ist das schlechteste Abscheiden seit der Saison 1984/85 (7/5/9). 

Erstmals in der Weltcup-Geschichte landeten sowohl die ÖSV-Frauen als auch -Männer im Nationencup als jeweils Dritte außerhalb der Top zwei. Nationencup - Alle Sieger >>>

Beste Österreicherin im Gesamtweltcup ist Cornelia Hütter auf Platz 14, bei den Männern ist es Vincent Kriechmayr auf Platz fünf. Sein Rückstand auf Odermatt beträgt über 1.000 Punkte.

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Einer, der in Zukunft das Potenzial zum ernsthaften Gesamtweltcup-Anwärter hat, ist Marco Schwarz.

Es braucht Fingerspitzengefühl

Der Kärntner ist einer der seltenen Spezies Allrounder im Weltcup und hat sich in dieser Saison in den Speed-Disziplinen ordentlich gemausert.

Was Schuss abwärts beim einstigen Junioren-Weltmeister im Super-G möglich ist, hat man bei der WM-Abfahrt (4.) und im Super-G beim Saison-Finale in Andorra (als 3. erstmals am Speed-Podest) gesehen. ÖSV-Cheftrainer Marko Pfeifer spricht gar von einem "neuen Stern im Speed-Bereich".

Schwarz ist schon jetzt definitiv eine Verstärkung für das ohnehin recht ausgedünnte ÖSV-Abfahrtsteam und könnte als Athlet, der alle vier Disziplinen durchgehend auf höchstem Niveau beherrscht, zu einem Herausforderer von Odermatt im Kampf um die große Kugel werden.

Vorausgesetzt, man setzt die richtigen Schritte. Der 27-Jährige und sein Betreuerteam im ÖSV müssen sich gut überlegen, wie man in der kommenden Saison das Bestmögliche aus dem Gesamtpaket Marco Schwarz herausholt.

Der Kombi-Vizeweltmeister ist in diesem Winter in allen vier Disziplinen in die Top 6 gefahren. Das volle Programm über eine komplette Saison hinweg durchzuziehen ist jedoch unrealistisch. "Vier Disziplinen sind brutal, fast unmöglich", sagt Schwarz selbst. "Es braucht eine gute Einteilung."

Und es braucht eine Richtungsentscheidung: Macht Schwarz zugunsten der Speed-Disziplinen vermehrt Abstriche beim trainingsintensiven Slalom oder findet man eine bewältigbare Balance zwischen allen vier Disziplinen?

Schwarz präferiert letzteres, Cheftrainer Pfeifer ersteres. Hier ist vom ÖSV Fingerspitzengefühl gefordert, um den mit weitem Abstand aussichtsreichsten Gesamtweltcup-Kandidaten für die nahe Zukunft nicht zu verheizen.

Es braucht einen Neustart

Ebenso gefordert sind die ÖSV-Verantwortlichen, wenn es darum geht, die angeschlagenen Technik-Frauen wieder aufzurichten. Nach einer Saison zum Vergessen vom Anfang bis zum Ende (mit kleinen Lichtblicken wie Franziska Gritsch oder Julia Scheib) ist eine schonungslose Aufarbeitung von Nöten.

Wie bereits beim Weltcup-Finale durchgesickert, bahnt sich das zweite Jahr in Folge eine Trainer-Rochade im Team rund um Chefcoach Thomas Trinker an (Alle Infos >>>).

Ob diese Maßnahme zielführend ist und sich die Chemie zwischen Trainern und Athletinnen verbessert, wird sich erst im kommenden Winter weisen. Schon davor muss aber dafür gesorgt werden, dass die augenscheinlich vorhandenen skitechnischen Mankos minimiert und die teils grobe Verunsicherung im Team beseitigt wird.

Bei der einen oder anderen Läuferin braucht es einen kompletten Neustart, wie beispielsweise Katharina Truppe selbst festhielt. "Mit einem neuem Team den Spirit, den Zusammenhalt finden, und von Grund auf neu das Skifahren lernen", erklärte die Kärntnerin vielsagend.

Auch Katharina Liensberger muss nach einer Katastrophen-Saison dringend den Reset-Knopf drücken und wohl auch ihr Umfeld hinterfragen. Mit einem Mental-Trainer alleine wird es nicht getan sein.

Es braucht Junge

Hinterfragen muss der ÖSV indes die Zusammenstellung seiner Mannschaften. Nicht wenige Trainingsgruppen sind aufgebläht mit mittelmäßigen Athleten, die Startplätze für den Nachwuchs – sofern er vorhanden ist – blockieren.

Die Verantwortlichen sollten die Courage haben, arrivierte LäuferInnen auszusortieren, die zu wenig Leistung bringen und stattdessen Jüngeren die Chance geben, Erfahrungen zu sammeln.

Hans Knauß meinte zuletzt nicht umsonst über das ÖSV-System: "Teilweise habe ich das Gefühl, es verhungern ein paar im Europacup." Warum Knauß den ÖSV in der Steinzeit sieht >>>

Gerade der kommende Winter bietet sich als "Übergangs-Saison" ohne Großereignis perfekt dafür an, frisches Blut an die Weltspitze heranzuführen und das vielleicht ohne den ganz großen Druck.

Denn spätestens in der Saison 2024/25 sollte man wieder eine schlagkräfte Truppe beisammen haben – dann steht die Heim-WM in Saalbach an.

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