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FK Arkadag: Wie ein Diktator einen unbesiegbaren Klub schuf

Ein Team, das noch nie verloren hat. Ein Despot, der den Fußball eines ganzen Landes ad absurdum führt. Die bizarre Geschichte des FK Arkadag.

FK Arkadag: Wie ein Diktator einen unbesiegbaren Klub schuf Foto: © getty

In der Serie "Das Tor zur Welt" nehmen wir internationale Fußball-Klubs und ihre Geschichten genau unter die Lupe. Wir beleuchten die Hintergründe, die in der schnellen, täglichen Berichterstattung gerne untergehen.

Von Aston Villa und Benfica Lissabon über Europas größten Fußballklub IF Brommapojkarna, den Fan-Verein CS Lebowski bis hin zum deutschen Kultverein FC St. Pauli haben wir schon einige Klubs portraitiert. Hier kannst du alle nachlesen >>>

In dieser Ausgabe geht es um den FK Arkadag - einen Klub, von einem totalitären Herrscher aus dem Boden gestampft und bedacht mit der Mission, den Mythos von dessen Unbesiegbarkeit aufrecht zu erhalten.

(Text wird unter dem Video fortgesetzt)

Fußball gehört den Menschen.

Auch der heutzutage häufig so weltfremd erscheinende Fußball ist am Ende des Tages nichts ohne der Identifikation und Leidenschaft der einfachen Leute, der echten Fans, der Menschen eben.

In Zeiten von Superligen, WM-Vergaben an menschenverachtende Staaten und anderen einzig der Gier geschuldeten Phänomenen verwundert es nicht, dass so mancher die Kräfteverhältnisse rund um die schönste Nebensache der Welt immer weiter zugunsten der Starken und Reichen abdriften sieht.

Die Geschichte des FK Arkadag veranschaulicht eindrucksvoll, welch unglaublich bizarre Ausmaße der Fußball annehmen kann, wenn nur ein einziger Mensch über ihn regieren darf.


Aşgabat - die Hauptstadt Turkmenistans.
Foto: © LAOLA1

Turkmenistan.

Gelegen im Herzen Zentralasiens, umgeben von Afghanistan, dem Iran, Kasachstan, Usbekistan und dem Kaspischen Meer.

Ein Fleckchen Erde, das selbst bei den eingefleischtesten Reise-, Politik- oder Geographie-Enthusiasten wohl maximal ein paar vage Assoziationen und Vorstellungen hervorruft.

Gähnend leere Straßen, Wüste, noch mehr Wüste und noch viel mehr weiße Marmor-Prunkbauten. Turkmenistan ist eines der seltsamsten - und eines der repressivsten und autoritärsten Länder der Welt. Und ganz sicher nicht der typische Schauplatz einer Fußball-Story.

Leidenschaftliche Fußballfans haben definitiv keinen Grund, in Verlegenheit zu geraten, wenn ihnen aus dem Stegreif keine fünf turkmenischen Kicker einfallen.

Umso kurioser, dass ausgerechnet jener auf den ersten Blick unscheinbare Wüstenstaat aktuell den einzigen Fußballklub der Welt beheimatet, der sich auf Pflichtspielebene den Status der Unbesiegbarkeit an die Brust heften darf - den FK Arkadag. 

Hinter der Fassade der sportlichen Erfolgsgeschichte des Vereins verbirgt sich jedoch ein dunkles Geheimnis.

Das Team, das noch nie verloren hat

Richtig gelesen: Der FK Arkadag hat jedes einzelne Pflichtspiel in seiner Vereinsgeschichte gewonnen.

Auf Wettbewerbsebene ist der "Arkadag Futbol Kluby" in seinem rund eineinhalbjährigen Bestehen noch in keinem einzigen Spiel mit einem Unentschieden oder gar einer Niederlage vom Platz gegangen.

24 Siege in 24 Runden, 72 Punkte, eine Tordifferenz von 83:17 - die Premierensaison des am 1. Jänner 2023 gegründeten Vereins (eine Spielzeit läuft von März bis Dezember) verlief gelinde gesagt durchaus erfolgreich.

Dass die allererste Teilnahme an der "Yokary Liga", der ersten Liga Turkmenistans, damit auch den ersten Meistertitel der Vereinshistorie nach sich zog, ist selbsterklärend. Vizemeister des neun Mannschaften fassenden Bewerbes durfte sich mit einem 18-Punkte-Rückstand Altyn Asyr nennen, Tabellenplatz drei ergatterte FT Nebitci mit 29 Zählern weniger als der Ligakrösus.

Um dem märchenhaften Debüt auf der nationalen Fußballbühne die Krone aufzusetzen, gewann Arkadag natürlich auch alle sieben Spiele im turkmenischen Pokal - das bedeutete den Doublesieg 2023.

Der verkannte Weltrekord-Klub

Der FK Arkadag kam, sah und siegte - und scheint damit nicht aufhören zu können. Wer nämlich eine Trendwende zur aktuellen Saison vermutet, der irrt gewaltig.

Neun Siege aus den ersten neun Spieltagen, eine unglaubliche Tordifferenz von 47:5 - auch im Jahr 2024 überrollt Arkadag das turkmenische Fußball-Oberhaus. Gleich am ersten Spieltag setzte man im Spitzenspiel gegen den größten "Titelrivalen" Altyn Asyr mit einem 3:0-Sieg ein klares Statement, in den darauffolgenden Wochen lauteten die Resultate unter anderem 8:1, 7:0 und 9:0.

38 Siege am Stück stehen für Arkadag bis Ende April 2024 zu Buche - das ist eigentlich Weltrekord. Seit Mitte März ist der offizielle Titel für die längste Siegesserie einer Profi-Mannschaft allerdings ein paar tausend Kilometer südwestlich zuhause.

34 Pflichtspielsiege am Stück schaffte das Starensemble von Saudi-Topklub Al-Hilal, ehe sein historischer Lauf Mitte April im Halbfinale der asiatischen Champions League ein Ende nahm.

Wie gegenüber dem englischen "Guardian" bestätigt, fundiert diese Entscheidung keineswegs auf einem Irrtum der Guiness World Records - aber dazu später mehr.

Wenn Größenwahn auf Fußball trifft

Wenn Größenwahn auf Fußball trifft
Arslanmurad Amanov - Starspieler im Nationalteam und beim FK Arkadag.
Foto: © getty

Was braucht eine über fünf Milliarden Dollar teure, am Reißbrett entstandene Planstadt, errichtet und benannt zu Ehren des "heldenhaften Beschützers" eines bitterarmen Volkes?

Natürlich einen Fußballklub - und zwar einen richtig guten - am besten sogar einen, der immer gewinnt.

Das in etwa dürfte sich Gurbanguly Berdimuhamedov - jener "heldenhafte Beschützer" gedacht haben, als er den FK Arkadag Anfang 2023 gründete.

Gurbanguly Berdimuhamedov ist Arkadag - und das wortwörtlich. Es ist der Spitzname jenes Mannes, der Turkmenistan als "Präsident" von 2006 bis 2022 mit eiserner Hand totalitär regierte, ehe er die Macht im Zuge einer Scheinwahl an Sohn Serdar weiterreichte. Hinter den Fassaden zieht der 66-jährige ehemalige Zahnarzt allerdings weiter die Fäden.

Im Jahr 2019 rief "Arkadag", was so viel wie "heldenhafter Beschützer" bedeutet, eines seiner letzten größenwahnsinnigen Projekte ins Leben, ehe Sohn Serdar zumindest offiziell an die Macht trat. Eine von Marmorprunkbauten und goldverzierten Statuen gesäumte "Smart City", zu Ehren seiner Selbst.



Eine Hightech-Stadt, die keiner braucht

30 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Asgabat, im Süden des Landes an der Grenze zum Iran und mitten in einem Erdbebengebiet, stampfte man innerhalb von rund vier Jahren eine neue Stadt aus dem Boden.

Gebraucht hat das im Sommer 2023 feierlich zeremoniell eröffnete Mega-Projekt aber eigentlich keiner. Ein großer Teil der rund 6,5 Millionen Turkmenen, einem Land welches von riesigen Gas-, Öl- und Baumwollressourcen profitiert, lebt in bitterer Armut.

Arkadag spielt infrastrukturell alle nur erdenklichen Stücke. Nur Elektroautos dürfen die gähnend leeren Straßen der Stadt befahren (schwarze Autos sind ohnehin im ganzen Land verboten), Schulen und Krankenhäuser sind im Gegensatz zum Rest des Landes hochmodern ausgestattet.

Klar, dass die einzige "Stadt von staatlicher Bedeutung" auch das fußballerische Aushängeschild des Landes beheimaten sollte.

Und um dem FK Arkadag schnellstmöglich diesen Status zu verschaffen, war dem Namensgeber und seinen Handlangern jedes Mittel recht.

Ein Diktator führt den Fußball ad absurdum

Wer einen Fußballklub gründet, braucht Spieler - im Falle des FK Arkadag aber natürlich nicht irgendwelche. Um gleich in der ersten Saison in der "Yokary Liga" reüssieren zu können, kaufte der Newcomer-Klub ganz einfach die besten Spieler der Liga auf.

18 Mann lotste man von der Liga-Konkurrenz, 15 Spieler allein vom amtierenden Meister FK Ahal und Vizemeister Altyn Asyr, im extra verlängerten Transferfenster zum neu gegründeten FK Arkadag. Ein Potpourri von fast ausschließlich Nationalspielern Turkmenistans, darunter auch die beiden größten Stars, Arslanmurat Amanov und Altymurad Annadurdyyev, schloss sich Arkadag vor Saisonbeginn an.

Im aktuellen 20-Mann-Kader des amtierenden Double-Siegers unter der Patronanz des "Vaters der Nation" stehen mittlerweile satte 19 turkmenische A-Nationalspieler. Bei der jüngsten WM-Quali-Niederlage Turkmenistans gegen den Iran standen sechs Arkadag-Kicker in der Startelf.

Der Einstieg in die Erstklassigkeit verlief natürlich ebenfalls unbürokratisch - per Sondergenehmigung stieg Arkadag ohne viel Bürokratie in die Liga ein.

Gurbanguly Berdimuhamedov - gern auch "Arkadag".
Foto: © getty

Absurde Elfmeterpfiffe und staatlich organisierter Fan-Support

Es sind Umstände wie diese, die auch die Verantwortlichen der Guinness World Records laut dem "Guardian" dazu bewogen haben, Arkadag trotz seines historischen Siegeszugs den Eintrag ins berühmte Buch der Rekorde zu verwehren.

Dass der FK Arkadag nicht nur neben dem Platz den einen oder anderen Vorteil genießt, ließen unter anderem zwei Liga-Duelle mit dem FK Sagadam vermuten. Sowohl beim zweiten Duell (1:0) als auch beim dritten Aufeinandertreffen (3:2) gaben überaus fragwürdige Elfmeterpfiffe in der Nachspielzeit den Ausschlag zugunsten der Mannen Berdimuhamedovs.

Der Protest vonseiten des Gegners und der Öffentlichkeit hielt sich in Grenzen - wenig verwunderlich, ob der Tatsache dass in Turkmenistan Presse- und Meinungsfreiheit nicht existieren und Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung stehen.

"In der Öffentlichkeit gibt es keine Einwände, da die Menschen hier daran gewöhnt sind, in einer Diktatur zu leben und nicht zu sagen, was sie denken", schildert der ehemalige Nationaltrainer Usbekistans Alisher Nikimbaev gegenüber "Al Jazeera".

Turkmenistans Nationalmannschaft im Duell mit Südkorea.
Foto: © getty

Sportliche Tristesse trotz staatlichem Fitnesswahn

Tatsächlich lockt die ebenfalls neu errichtete 10.000 Zuschauer fassende Heimstätte des FK Arkadag an Spieltagen durchaus Zuschauer und "Fans" an - der Schein trügt allerdings, wie Nikimbaev gegenüber "Al Jazeera" ausführt. "Es ist alles staatlich organisiert und es gibt Gruppen, die alle mit derselben Kleidung zu den Spielen kommen." 

Das Land der größten Ansammlung von weißen Marmorgebäuden, des größten Indoor-Riesenrads und der größten Pferdekopfskulptur der Welt - im Gegensatz zum Ruf als Land der kuriosen Weltrekorde konnte Turkmenistan den als Sportnation noch nicht nachhaltig etablieren.

Und das, obwohl "Vater der Nation" Berdimuhamedov sich zu Amtszeiten im Rahmen von Pferde-, Rad- und Motorrad-Rennen als Sportskanone und Multitalent inszenierte und als absoluter Gesundheitsverfechter gilt. Der Besitz eines Fahrrads ist in Turkmenistan Gesetz, öffentliches Rauchen ist verboten.

Reitsport und Ringen genießen ebenfalls hohes Ansehen, die einzige Olympia-Medaille der Landesgeschichte gewann allerdings die Gewichtheberin Polina Guryeva in Tokio 2020.

Trotz der Popularität des Sports fällt die Fußball-Bilanz relativ mager aus. Turkmenistan liegt auf Rang 143 der FIFA-Weltrangliste und konnte sich erst zweimal (2004 und 2019) für die Asienmeisterschaften qualifizieren. In der Gruppenphase der zweiten Stufe der Qualifikation zur WM 2026 liegt Turkmenistan mit einem Punkt abgeschlagen an vorletzter Stelle der Gruppe E.

 

Bald auf internationaler Mission?

Bald auf internationaler Mission?
Die Begeisterung für den Fußball ist auch in Turkmenistan groß.
Foto: © getty

Das Interesse am nationalen Fußball lässt die Dominanz des FK Arkadag jedenfalls rapide schwinden.

Schon in naher Zukunft wird der FK Arkadag allerdings auch über die Grenzen Turkmenistans gefordert sein, seinem Ruf der Unbesiegbarkeit gerecht zu werden.

Ihre makellose Premierensaison brachte den Turkmenen nämlich einen Startplatz in der Qualifikation für die erste Ausgabe der neu ins Leben gerufenen "AFC Champions League 2", dem asiatischen Pendant zur UEFA Europa LeagueEs wird die erste wahre Bewährungsprobe für die Mannen Berdimuhamedovs - und einfach wird es ganz bestimmt nicht.

Die bisher einzigen Duelle auf internationaler Ebene bestritt Arkadag im Winter 2024 - dabei gab es einen 1:0-Sieg gegen Vardar Skopje (MKD) sowie ein 2:1 gegen Abdish-Ata (KGZ).

Zurück auf den Boden der Tatsachen ging es im Februar im Trainingslager im türkischen Antalya - da setzte es nämlich ein 1:4 gegen Shakhtar Donetsk (UKR) und ein 0:1 gegen SK Dnipro-1 (UKR).

Wie auch immer: Ganz wie in der Politik, wird es in Turkmenistan auch im Fußball wohl nicht so bald zu einer Machtablöse kommen.


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